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Dies ist der Austrittsbericht der Klinik Hohenegg über mich. Der Bericht ist an meine Therapeutin adressiert.
Hohenegg
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Meilen

Frau
Dr. Z××××××
Sozialpsychiatrischens Zentrum Limattal
8953 Dietikon

Meilen, 26.06.2002

C××××××××× David, 26.06.1982, ×××××××strasse 19, CH-8953 Dietikon

Sehr geehrte Kollegin

Wir berichten Ihnen abschliessend über obengenannten Patienten, der vom 17.12.2001 bis 20.09.2002 zum 1. Mal bei uns hospitalisiert war. Das Résumé vom 28.01.2002 wurde Ihnen bereits zugesandt.

Diagnose
Rezidivierende depressive Entwicklung mit starken Zukunftsängsten, Sozialphobie und Panikattacken bei Persönlichkeit in starker adoleszentärer Krise mit Rückzugstendenz bis zu schizoidem Verhalten und Selbstverletzungstendenz (ICD-10 F32.1, F41.0 F50.1, Z72.8).

Therapie und Verlauf seit der Gemeinsamen vom 28.01.2002
Der Patient nahm weiterhin im intensiven Psychotherapieprogramm mit regelmässigen Einzel- und Gruppengesprächen, Psychodrama, Mal- und Bewegungstherapie, Sport sowie intensiver Milieutherapie teil. Zusätzlich besuchte er die Spezialgruppe für Patienten mit Angststörungen.
Der Patient brauchte viel Zeit, Vertrauen in die Abteilung und die Mitpatienten zu fassen, fand aber zunehmend besseren Kontakt, hatte immer weniger Mühe mit Ein- und Austritten anderer Patienten und war im Verlauf der Therapie in der Gruppe gut integriert. Er fiel durch seinen Humor auf (*01), in den Therapien eher durch seine Zurückhaltung, in der Freizeit durch rege Beteiligung. Er fand in seinem Zimmernachbarn einen guten Freund, mit dem er auch heute noch Kontakt pflegt. Mit einer Mitpatienten, die seine Vorliebe für Musik teilte, besuchte er hin und wieder Konzerte und Discos (*02) am Wochenende. Insgesamt gelang es ihm, sich mehr am öffentlichen Leben zu beteiligen, in der Freizeit etwas zu unternehmen und weniger Zeit im Internet zu verbringen (*03).
In den Therapien brauchte der Patient viel Zeit zur Vertrauensbildung. Während mehrere wurde vor allem stützend gearbeitet. Die anfangs stark vorhandene depressive Stimmung und die starken Schneidimpulse nahmen zunehmend ab (*04). Medikamentös wurde der Patient nach einem Unterbruch, in dem er keine Medikamente mehr wollte, mit Deroxat und Remeron unterstützt, da Deroxat allein zu Schlaflosigkeit (*05) führte. Später konnte Deroxat wieder abgesetzt werden (*06). Mit der Milderung der depressiven Stimmung wurde seine Sozialphobie, seine Angst vor Leistungsansprüchen und der Zukunft sowie seine Tendenz zu Denkzwängen deutlicher. Insbesondere im mittleren Teil der Therapie, als es und die Frage der beruflichen Zukunft ging, stand die Angst im Vordergrund. Der Patient zeigte ein starkes Vermeidungsverhalten, wollte nicht mehr an den alten Arbeitsplatz zurück, hatte jedoch auch Mühe, sich etwas Neues zu suchen. Schliesslich kam er selber mit dem Wunsch, an dem alten Ort zurückzukehren, da das wohl die vernünftigste Lösung sei (*07). Ein Arbeitgebergespräch wurde geführt und die Möglichkeit eines Wiedereinstieges besprochen.
Im Vorfeld sprachen wir häufig über seine massiven Ängste vor Leistungsansprüchen, die sich offenbar bereits in der Primarschule durch Kontrollzwänge im Rechnen sowie Prüfungsängsten gezeigt hatten. Durch die Auseinandersetzung mit der Situation im Geschäft wurde auch seine Schwierigkeit, sich mit Gleichaltrigen auseinanderzusetzen, zu konkurrenzieren und ins Gespräch zu kommen deutlich (*08). Dieses Thema wurde wieder neu aufgegriffen, als der Patient sechs Wochen vor Klinikaustritt mit der Berufsschule begann (*09). Er hatte grosse Angst, mit den neuen Kollegen nicht in Kontakt zu kommen und fühlte sich sehr hilflos in den Pausen. Diese Situation konnte mit ihm besprochen werden und in der Folge fühlte er sich wohler. Während der letzten zwei Wochen des Aufenthalts begann der Patient im Geschäft zu arbeiten, konnte dort im Selbststudium ein neues Stoffgebiet in Angriff nehmen. Er zeigte sich zufrieden damit, fühlte sich recht wohl und wirkte nach anfänglichen Ängsten und Niedergeschlagenheit, wenn nicht alles nach Wunsch verlief, doch insgesamt zufrieden. Hier wird der Patient weiterhin an seiner Tendenz zu Vermeidungsverhalten (z.B. bezüglich Aufgaben) arbeiten müssen.
Während des gesamten Aufenthaltes kam es zu mehreren Familiengesprächen, in denen die Situation zuhause reflektiert wurde. Vor allem waren die starken Spannungen zwischen den Eltern Thema, unter denen der Patient leidet und denen er durch Rückzug ins Zimmer auszuweichen sucht. Ebenso Thema waren die starken Ängste der Mutter bezüglich der Gesundheit und dem Verhalten des Sohnes. Auffällig war, dass von den Eltern wenig Augenmerk auf die Ressourcen des Patienten (z.B. Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, schnelle Auffassungsgabe) gerichtet wurden. Die Gespräche führten jedoch dazu, dass sich die Situation zuhause etwas entspannte, der Patient auch wieder gesprächiger wurde und sich insgesamt wohler fühlt.
Während des gesamten Aufenthaltes zeigte der Patient ein starkes Untergewicht. Eine Essstörung konnte nach mehreren Wochen (*10) Beobachtung ausgeschlossen werden. Sein Eintrittsgewicht betrug 47,5 kg. Vorübergehend nahm er auf 46 kg ab, später auf 50 kg zu. Kurz vor Austritt kam es noch einmal zu einer Gewichtsabnahme, die er bis zum Schluss jedoch wieder auf 50 kg erhöhen konnte (*11).
Der Austrittstermin wurde mit dem Patienten früh festgelegt. Dieser löste starke Ängste bei ihm aus, er hatte Mühe mit de Vorstellung, wegzugehen und wieder ins Berufsleben einsteigen zu müssen. Ängste vor der Zukunft sind nach wie vor stark vorhanden, auch die Vorstellung, eventuell die Lehre doch wieder abzubrechen. Jedoch konnte seine Vermeidungstendenz (Wunsch nach IV (*12)) bearbeitet werden und er ist aus unserer Sicht heute eher bereit, wirklich ins Berufsleben einzusteigen (*13).
Nur ansatzweise bearbeitet werde konnten seine aggressiven Phantasien, die in Zusammenhang mit starker Aggressionshemmung, resp. Angst vor Durchsetzung zu betrachten sind. In diesem Zusammenhang kam das Gespräch auch auf den Bruder zu sprechen (*14).
Insgesamt zeigt der Patient eine gute Entwicklung. Er wird sich weiterhin auseinandersetzen müssen mit seiner Ausweichtendenz, seiner Angst vor Anforderungen und seinen soziophobischen Ängsten.

Procedere
Der Patient wird ambulant von Ihnen weiterbehandelt, wie in einem gemeinsamen Gespräch besprochen. Um die Ablösung etwas einfacher zu gestalten, wird der Patient noch 3-4 Mal zu einem informellen Gespräch in die Hohenegg kommen. Der Patient besucht seit dem 20.08.2002 die Berufsschule am Dienstag. Seit zwei Wochen arbeitet er am Donnerstag im Geschäft. Er hat von uns ein Arbeitszeugnis mit 40% Arbeitsunfähigkeit für die ersten zwei Wochen erhalten. Der Patient hat vor, darauf für zwei Wochen 80% zu arbeiten und dann wieder voll einzusteigen (*15). Dieses Vorgehen wurde mit dem Arbeitgeber vereinbart.

Medikamente bei Austritt
Remeron Tbl à 30mg 0-0-2-0
Deroxat Tbl à 20mg 1-0-0-0
In Reserve Truxaletten Tbl. à 5mg bei Bedarf

Wir danken Ihnen für die Zuweisung und die Weiterbehandlung.

Mit freundlichen Grüssen

Dr. med. C. K×××× (Oberärztin), lic. phil C. E××××× (klin. Psychologin)



Anmerkungen von mir
  • (*01: Es erstaunt mich, dass dies als erstes erwähnt wird. Meiner Meinung nach ist mein Humor nicht in auffallend grossem Masse vorhanden. Und abgesehen davon ist mein Humor fast immer zu einem grossen Teil ernst gemeint.)
  • (*02: Ich hasse das Wort Disco. Und ich empfinde es in diesem Falle auch nicht als treffende Bezeichnung.)
  • (*03: Es war nicht beabsichtigt, weniger Zeit im Internet zu verbringen. Es hat sich zwangsweise so ergeben. Und ich verbringe nach wie vor viel Zeit im Internet - was ich auch nicht ändern möchte.)
  • (*04: Der Drang zu schneiden nahm ab. Aber das Thema war immer präsent und ich dachte täglich daran - was auch heute noch so ist.)
  • (*05: Unterbrochener Schlaf in den Morgenstunden.)
  • (*06: Es wurde aber bald darauf wieder aufgenommen.)
  • (*07: Ich war nur dazu bereit, wieder in dir Firma zurückzugehen, weil man mir entgegen kam und mir zusicherte, dass ich mindestens ein Semester lang ohne Stress im Selbststudium arbeiten darf. Ohne dieses Entgegenkommen wäre ich nicht wieder in diese Firma zurückgekehrt.)
  • (*08: Ein wichtiger Grund dafür war auch die Tatsache, dass jene Klasse fast ausschliesslich aus mir unsympathischen Idioten bestand. Nur mit ganz wenigen kam ich wirklich gut klar.)
  • (*09: Ich begann nicht neu mit der Berufsschule. Ich machte dort weiter, wo ich aufgehört hatte - aber ohne Berufsmaturitätsschule.)
  • (*10: Ungefähr 13 Wochen !)
  • (*11: Meine Körpergrösse beträgt 169 cm.)
  • (*12: Unterstützung durch die Invaliditätsversicherung.)
  • (*13: Naja, ich versuche weiter zu machen und mich über Wasser zu halten. Bereitschaft ist etwas übertrieben.)
  • (*14: Um Fehlinterpretationen zu vermeiden: Ich habe eine gute Beziehung zu meinem Bruder und mag in sehr.)
  • (*15: Hat nicht ganz funktioniert. Ich arbeite noch mindestens bis am 31.12.2002 nur 80%.)