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Im Herbst 1998, im Alter von 16 Jahren, war ich beim Institut für Angewandte Psychologie bei einer Abklärung und Beratung bezüglich Schullaufbahn und Berufswahl. Dieser Bericht wurde aufgrund eines graphologischen Gutachtens sowie weiterer Tests verfasst.
Neun Jahre später sticht für mich vorallem eine Aussage ins Auge: "Es ist denn auch irgendwie ein leiser depressiver Einschlag vorhanden"...
Ein auffallend "aufgeräumter", properer, ungemein gewissenhafter, fleissiger junger Mann mit einer ausgesprochen vernünftig zielorientierten Einstellung, will er einen klar-präzisen Plan und vorallem ein gesichertes Geleise bei einem sehr hohen Sicherheitsbedarf, will er alles fest im Griff haben und so ist denn seine Grundeinstellung auch eher ein distanziertes Beobachten. Vernünftige Einstellung, Uebersicht und kluge Wachsamkeit sind ihm ein Grundbedürfnis und weil eine zu grosse Reizeinwirkung eher bedrückend, verwirrend und beunruhigend ist für ihn, versucht er sich im vornherein herauszuhalten, rsp. vorallem den Nutzeffekt im Auge zu behalten und möglichst sachbezogen zu bleiben. Im Wesen hat er etwas Schlichtes, Bescheidenes, wobei er vermutlich sehr störbar sein dürfte durch Unregelmässigkeiten und Nachlässigkeiten, weil er genaue Vorstellungen davon hat, wie etwas sein soll. D.h. er kann sich wohl schon etwas hinter seiner Sachlichkeit verstecken, die ihn emotional unerreichbar macht. Anderseits liegt seine Stärke in seinem Glauben an die Vernunft, an den Fleiss, die Gründlichkeit, Exaktheit, womit er tatsächlich viel erreichen kann. Er ist ein absoluter Perfektionist fast hin bis zu einem Zwang - im Bemühen um Sicherheit.
Menschlich ist er denn auch eher zurückhaltend und reserviert, aber unbedingt verständnisvoll und zuverlässig, auch wenn durch seine Korrektheit eher etwas kühl wirken dürfte. Gemüt ist zwar vorhanden, aber auf eine verhaltene, nach innen gerichtete Weise, wie er wohl überhaupt ziemlich introvertiert - scheu sein dürfte und dies aber durch ein hohes Pflichtempfinden, auch durch Konstanz und Konsequenz zu kompensieren versuchen. Dennoch kommen wohl die Affekte bei ihm grundsätzlich zu kurz, wie auch eine starke Triebabwehr und Gefühlsscheu besteht und alles sehr stark von der Ueberlegung getragen wird. Dadurch wirkt dieser junge Mann schon noch ziemlich eingeengt, wobei vermutlich auch das Schicksal das Bruders seinen Teil dazu beigetragen hat und er nun versucht, auftauchende Probleme durch ein besonders sorgfältiges und exaktes Leistungsbemühen abzuwehren. Man gewinnt einfach den Eindruck, dass er seiner persönlichen Freiheit und Individualität bis heute noch nicht den nötigen Spielraum hat geben können, hat er sich fast automatisch daran gewöhnt, sich irgendwie persönlich einzuschränken; vorallem jedoch gestattet er sich vielzuwenig Lustprinzip. Es ist denn auch irgendwie ein leiser depressiver Einschlag vorhanden, obwohl er mit seiner Selbstdisziplin seine Verstimmungsbereitschaft sehr wohl im Schach halten kann, aber man sollte ihn unbedingt ermutigen, seiner allzu seriösen Seite immer wieder ein Schnippchen zu schlage und ohne Schuldgefühle seine spielerisch-unbefangene Seite zu pflegen.
Angesichts seiner Tadellosigkeit wird er sich schulisch wie auch praktisch sicher durchsetzen können. Obwohl man ihm Mittelschultauglichkeit durchaus zusprechen muss, bekäme ihm wahrscheinlich eine praktische Selbstbestätigung z.Zt. am besten, gerade weil er seinen Selbstwert sehr deutlich aus der geleisteten Arbeit bezieht.

IAP Zürich, 18.09.1998